Die Brutkolonie befindet sich in einem Tal des Hagener Südens, das von der Volme durchflossen wird. Es handelt sich um ein sauerländisches Mittelgebirgstal von ca. 180 m über NN in der Talsohle und ca. 350m über NN in den Kammlagen. Die Graureiher brüten an einem Steilhang in süd-westlicher Ausrichtung auf Fichten, die in den Jahren 2019 und 2020 abgestorben sind. Der Brutplatz wird im unteren Bereich durch die Volme begrenzt und oberhalb durch eine Zufahrtstraße zu einer Klinik. Die Größe des Areals schätze ich auf ca. 1,5 Hektar.
Ohne zu stören, kann man den Brutbetrieb von der erwähnten Zufahrtstraße aus gut beobachten, da die Vögel an Fahrzeuge und Fußgänger gewohnt sind. Laut einer Anwohnerin besteht die Brutkolonie seit 1989/90. Seit 1991 wird der Brutbestand erfasst, im Laufe der Jahre wurde eine Höchstzahl von 34 besetzten Horsten gezählt. Es handelt sich bei dieser Kolonie um die letzte auf Hagener Stadtgebiet, zwei weitere Kolonien im Oeger Holz/ Hohenlimburg (1997 bis 2009) und am Ostbecken des Hengsteysees (2013 bis 2021) existieren nicht mehr, im ersten Fall aufgrund Vergrämung, im zweiten Fall käme auch der Waschbär in Frage (mündl. A. Welzel).
Im zeitigen Frühjahr, Anfang Februar, versammeln sich die Graureiher am Brutplatz und besetzen die vorjährigen Nester. Sollte es Mitte oder Ende Februar zu einem erneuten Wintereinbruch kommen, verlassen sämtliche Graureiher die Kolonie und kommen erst wieder, wenn sich das Wetter bessert. In der Nacht zum 23.02.2024 war es sehr stürmisch und einige der abgestorbenen Fichten fielen um. Daraufhin verließen die Graureiher die Kolonie und erschienen erst eine Woche später wieder am Brutplatz.
Spätestens jedoch Anfang März beginnt der intensive Brutbetrieb und die Paare wechseln sich nach der Eiablage mit dem Brüten ab. Während ein Partner brütet, ist der andere auf Nahrungssuche oder ruht in der Nähe der Kolonie.
Seit Beginn meiner Beobachtungen in 2024 war die Erfassung der genauen Anzahl der Brutpaare von besonderem Interesse. So konnte ich am 15. März 17 besetzte Nester zählen. Bereits am 4. April waren die ersten Küken geschlüpft und ich zählte am 5. April fünf BP mit Küken und 1 BP, welches kopulierte und 16 brütende Graureiher, insgesamt somit 22 BP.
Das Frühjahr 2024 war ungewöhnlich kalt und nass. Dies führte bei den Graureihern zu einigen Verlusten und ich sah u.a. einen Altvogel, der versuchte, ein verstorbenes Küken zu verschlucken.
Der Jungvogel war schon relativ groß und der Reiher bemühte sich ca. 20 Minuten mit einigen Ruhepausen, den anstrengenden Vorgang zu beenden. Dieses Verhalten ist für uns Menschen zunächst irritierend. Doch ist es in der Natur nicht ungewöhnlich, dass Ressourcen genutzt werden, aber auch um zu vermeiden, dass tote Küken im Koloniebereich Fressfeinde anlocken.
Zwei Tage später - das Wetter war immer noch ungewöhnlich nass und kalt -, wurden nur noch 14 BP gezählt, welche brüteten oder Küken versorgten. Besonders fiel mir ein Nest mit zuvor vier Jungvögeln auf, welches nun leer war. Eine frustrierende Entwicklung, wenn man an die Höchstzahl von 34 BP im dem Jahren 2006 bis 2009 denkt.
Am 8. Mai konnte ich nur noch fünf Küken in drei Nestern zählen. Die erneuten Verluste waren nicht erklärbar, da sich die Wetterlage verbesserte, es wärmer wurde und viele Küken inzwischen soweit befiedert waren, dass auch ungünstiges Wetter nicht solche Auswirkungen haben sollte.
Erfreulicherweise begannen jetzt einige Graureiherpaare mit Nachgelegen und hätten so die Verluste unter den Jungvögeln etwas ausgleichen können.
Laut Literatur beträgt die Gelegegröße bei Graureihern zwischen drei bis fünf Eiern. Meine Beobachtungen in Hagen-Ambrock liegen bei ein bis vier Küken. Besonders die Nachgelege scheinen nur noch ein oder zwei Jungvögel hervorzubringen.
Unabhängig von den Wettereinflüssen und den Verlusten durch Prädatoren scheint es bei vier Küken in einem Nest auch unter den Jungvögeln einen Überlebenskampf zu geben. Bereits 2023 bemerkte ich ein Nest mit vier Küken, in dem ein Jungvogel von den drei Geschwistern wiederholt angegriffen wurde und sich am Nestrand oder auf einem Seitenast aufhielt. Sobald ein Altvogel mit Futter anflog, versuchte er zwar die Nestmitte und damit das Futter zu erreichen, konnte sich aber gegenüber den inzwischen auch körperlich überlegenen Geschwistern nicht durchsetzen und erhielt so keine Nahrung mehr, denn die drei anderen Küken vertrieben das vierte mit heftigen Schnabelhieben. Der Jungvogel hatte so kaum eine Überlebenschance und zwei Tage später hing sein Kadaver am Rande des Nestes.
Bei alledem greifen die Altvögel nicht ein. Diese kümmern sich um die Nahrungsbeschaffung und würgen das Futter in der Nestmitte aus. Die Küken müssen jedes für sich sehen, dass sie ausreichend Nahrung erhalten. In 2024 erging es einem Jungvogel ähnlich. Er verhielt sich jedoch geschickter und konnte trotz des gemeinsamen Abwehrverhaltens der drei anderen Küken überleben. Dieses Verhalten konnte ich in all den Jahren nur zweimal in Nestern mit jeweils vier Jungvögeln beobachten.
Am 14. Mai zählte ich nur noch ein Küken und vier brütende Graureiherpaare. Inzwischen verbesserte sich die Wetterlage deutlich und die erneuten Brutverluste waren nicht mehr durch schlechtes Wetter zu erklären. Auffällig war auch, dass die Nester anscheinend systematisch ausgeräumt wurden. Denn selbst wenn zwei Nester mit gleichaltrigen Jungvögeln direkt nebeneinander lagen, verschwanden erst alle Küken aus dem einen Nest und danach die Jungen aus dem anderen Nest. Zudem traten die Verluste immer erst auf, wenn die Küken soweit entwickelt waren, dass sie nicht mehr gehudert wurden. Es wurde deutlich, dass ein Prädator für die Brutverluste verantwortlich sein musste. Laut Literatur sind die Hauptfeinde des Graureihers in der Brutphase Uhu, Waschbär und Baummarder. Während der Baummarder in Hagen eher selten vorkommt, verzeichnen Waschbär und Uhu einen starken Aufwärtstrend. Die Graureiherkolonie befindet sich in unmittelbarer Nähe von zwei Steinbrüchen. Insofern scheint der Uhu zunächst Hauptverdächtiger für die Kükenverluste zu sein. Ein endgültiger Nachweis, wer für die Brutverluste verantwortlich war, konnte nicht mehr erbracht werden.
Nach meinem Urlaub von Ende Mai bis Anfang Juni waren alle Nester der Kolonie verlassen. In normalen Brutjahren dauert der Brutbetrieb eigentlich bis Mitte August. In den Tagen danach konnte ich zweimal einen diesjährigen Graureiher beobachten. Einmal gesellte er sich für die Nachtruhe zu einem Altvogel. Dieser Jungvogel stellt wahrscheinlich den gesamten Bruterfolg der Graureiherkolonie Hagen-Ambrock in 2024 dar.
Während meines Aufenthaltes an der Graureiherkolonie fielen wiederholt trockene Fichten um, dies auch schon bei geringem Wind, deshalb kann ich mir nicht vorstellen ist es ungewiss, dass ob es 2025 überhaupt zu einem erneuten Brutversuch in der Brutkolonie Hagen-Ambrock kommen wird. Denn falls die verbliebenen Bäume die Herbststürme und den Winter überstehen, dürften die Äste die Nester nicht mehr tragen können. Es ist anzunehmen, dass die Brutsaison 2024 das Ende der Graureiherkolonie Hagen-Ambrock markiert und die Vögel in einen anderen Brutbereich wechseln werden.
Nach den Verlusten der Graureiherkolonien Hohenlimburg-Oege und dem Ostbecken am Hengsteysee könnte Hagen somit die letzte Graureiherkolonie verlieren.
Sollte ein*e Leser*in im Frühjahr 2025 oder in den Jahren darauf eine Ansammlung von Graureihern im Stadtbereich bemerken, die auf eine neue Koloniebildung hindeuten könnte, würde sich der NABU Hagen über eine Rückmeldung freuen.
Literatur:
NABU (App): Vogelwelt
NABU Hagen: Vogelkundliche Sammelberichte