2023-11-17 - Der Vogel des Jahres 2023 - Das Braunkehlchen

Ein Bericht von Andreas Welzel

(Dieser Beitrag ist auch in den Hohenlimburger Heimatblättern erschienen)


Das Rotkehlchen kennt ein jeder, doch von der Existenz seiner Verwandten, den Braun-, Schwarz- oder Blaukehlchen, wissen die wenigsten, geschweige denn, man hat sie mal zu Gesicht bekommen. Das ist kein Wunder, denn sie sind allesamt selten geworden. Dennoch ist das Braunkehlchen nun schon zum zweiten Mal der „Vogel des Jahres“. Dessen große Sympathie bei den Naturfreunden zeigte sich bei der Online-Wahl, in der diese Vogelart deutlich vor seinen Konkurrenten lag.

männliches Braunkehlchen, Ruhraue Syburg 23. April 2020, Foto: A. Welzel
männliches Braunkehlchen, Ruhraue Syburg 23. April 2020, Foto: A. Welzel

Das Braunkehlchen gehört in die große Familie der Schnäpper und ist mit Nachtigall, Steinschmätzer, Haus- und Gartenrotschwanz und nicht nur namentlich auch mit Rotkehlchen, Blaukehlchen und Schwarzkehlchen verwandt. Mit ihnen ist es in der Gruppe der „Wiesenschmätzer“ zusammengefasst. Das zweifelsfreie Erkennungsmerkmal des Braunkehlchens ist der weiß-hellbeige Überaugenstreif, der bei den Jungvögeln allerdings undeutlich ausfallen kann und dann Gelegenheit zur Verwechslung vor allem mit dem Schwarzkehlchen bietet. Während das Rotkehlchen die menschliche Umgebung nicht meidet und insbesondere die Gärten geradezu sucht, findet sich das Braunkehlchen siedlungsfern in ausreichend großen, arten- und blütenreiche Wiesenbeständen mit dem einhergehenden Insektenvorkommen. Landois, einer der ersten Naturforscher Westfalens, bezeichnete das Braunkehlchen schon 1886 als „Zierde unserer Wiesen“.

Schon bei der ersten Wahl 1987 war die unsichere Zukunft dieses Sympathieträgers erkannt, der Schwund seiner Lebensgrundlagen wurde als Ursache benannt. Es wurde angemahnt, den zusammenbrechenden Bestand zu stützen und die Landschaft dementsprechend zu erhalten, denn bereits zu diesem Zeitpunkt wurden viele traditionelle Brutplätze nicht mehr besiedelt, die Bestände waren auf ein Viertel dessen von 1950 zurückgegangen. Schon seinerzeit war klar, dass der Bruterfolg des Braunkehlchens von der Art der Grünlandbewirtschaftung bestimmt wird. Nachfolgend abgehaltene Symposien und in deren Folge aufgelegte Artenschutzprogramme reichten nicht aus, um den Niedergang des Braunkehlchens aufhalten zu können. Damit offenbart diese Wiederwahl auch eine hinsichtlich des Artenschwundes bislang erfolglose Naturschutzpolitik, die allein mit der Ausweisung von Naturschutzgebieten und Artenschutzprogrammen kaum Wirkung zeigte und hinsichtlich der Gesamtsituation keinen Erfolg hatte. Heute noch findet sich das Braunkehlchen auf allen Roten Listen bedrohter Vogelarten.

Das Braunkehlchen in der Hagener Region

Bei uns kann man das Braunkehlchen nur noch beim Durchzug vom Brutgebiet ins Winterquartier und vier Monate später auf dem Rückweg beobachten, es ist hier kein Brutvogel mehr. Beim Durchzug werden die Siedlungsgebiete gemieden, so dass es nahezu ausschließlich in unseren landwirtschaftlich genutzten Flächen anzutreffen ist, etwa bei Berchum, Tiefendorf und Garenfeld oder im Hagener Süden auf der Kalthauser Höhe, bei Hunsdiek oder Veserde und Wiblingwerde. Ein zweiter Bereich zur Braunkehlchenbeobachtung ist das Ruhrtal, das nach der restlosen Erschließung der Flusstäler von Ennepe, Volme und Lenne als einziges noch nennenswerte landwirtschaftliche Flächen mit offenen Wiesen-, Weide- und Ackerflächen aufweist, so etwa im Böhfeld südlich des Hengsteysees.

Zwar gibt es immer wieder Beobachtungen wie die aus dem Ruhrtal am Harkortsee, wo sich ein Paar Anfang Mai 2016 über eine Woche lang aufhielt. Derartige Beobachtungen nähren die Hoffnung, dass sich in unserem Raum wieder Braunkehlchen ansiedeln, doch fällt dieser Aufenthalt in die Zeit des Frühjahrsdurchzuges mit dem zahlenmäßig höchsten Aufkommen an Braunkehlchen, so dass bei dieser Beobachtung von Durchzüglern auszugehen ist. Die Beobachtung belegt aber, wie stark Zugvögel auf geeignete Lebensräume angewiesen sind, die nicht nur Rastplätze, sondern bei entsprechendem Nahrungsangebot auch „Tankstellen“ für den Weiterzug sind und so die Funktion von „Trittsteinen“ entlang der Wegstrecke ins Sommer- oder Winterquartier übernehmen. Damit sind sie eine überlebenswichtige Voraussetzung nicht nur für das Gelingen des Weiterzugs, sondern auch für die Fitness und damit den Bruterfolg. Vor diesem Hintergrund ist es für den Gesamtbestand von Zugvogelarten wichtig, diese entsprechenden Lebensräume vor Ort zu erhalten. Speziell für das Braunkehlchen sind an diesen „Rastplätzen“ Ansitzwarten z. B. auf Zaunpfählen wichtig, von denen aus es seine artspezifische Nahrung aus Insekten und Spinnen erbeuten kann.

Fette Beute: weibliches Braunkehlchen mit einer Vierfleck-Kreuzspinne. Brechtefeld 17. September 2017, Foto: O. Baesch
Fette Beute: weibliches Braunkehlchen mit einer Vierfleck-Kreuzspinne. Brechtefeld 17. September 2017, Foto: O. Baesch

Frühjahrszug

Für die Mitte der 1880er Jahre nennt Landois als frühesten Ankunftstermin des Braunkehlchens in Westfalen den 5. Apr, als weitere Erstbeobachtungen werden der 10., 12. und 21. Apr genannt. 120 Jahre später konnte die früheste Jahreserstbeobachtung unserer Gegend am 19. März 2018 in Garenfeld durch F. Dietz notiert werden, dem Autor gelang im selben Jahr am 26. März eine Beobachtung im NSG „Ruhraue Syburg“. Es liegt nahe, die Verfrühungen bei der Ankunft und die herbstlichen Verspätungen beim Abzug des Braunkehlchens als Anpassung des Zuggeschehens an den Klimawandel zu deuten. Diese Veränderungen der Zugzeiten wurden sowohl im Frühjahr als auch im Herbst ebenfalls für das Braunkehlchen auf Helgoland festgestellt.

Während man Ende April in der Rheinebene bereits besetzte Gelege findet, steht bei uns erst der Gipfel des Heimzuges an. In der ersten Maidekade, also vom 1. bis zum 10. Mai, zieht die Hälfte aller Braunkehlchen des Frühjahrszuges durch unsere Region (s. Abb. 1). Dabei handelt es sich nahezu ausschließlich um Braunkehlchen aus Norwegen, Schweden und Finnland.

Abb. 1: Anzahl der beobachteten Braunkehlchen in der Hohenlimburger und Hagener Region im Jahresverlauf von 1963 bis 2022, Darstellung in Summen der Monatsdrittel

1129 Individuen in 352 Beobachtungen, Datengrundlage: Sammelberichte des NABU-Hagen und des Bund für Vogelschutz Hagen Herdecke, Beobachtungen des Autors, schriftl. Mitt. Christian Tunk und Günther Röttler (†)

Das Geschlechterverhältnis der bei uns durchziehenden Braunkehlchen wurde insgesamt als annähernd gleich beobachtet, allerdings unterschied man bei den Beobachtungen vor allem beim Wegzug im Herbst wenig nach Geschlecht (s. Abb. 1), möglicherweise aufgrund der nicht unproblematischen Differenzierung von Weibchen und Jungvögeln, aus denen ein großer Teil der herbstlich durchziehenden Braunkehlchen besteht.

Herbstzug

Nach Beendigung der Brut im Juli beginnen die Braunkehlchen ihr Revier zu verlassen und sind auf dem Wegzug bereits im August wieder in unserer Region zu beobachten (s. Abb. 1), nicht selten besteht die Konstellation mehrerer Braunkehlchen aus einem Elternteil mit ein oder zwei Jungvögeln im ersten Lebensjahr. Landois schreibt für den Zeitraum der 1880er Jahre als letzte Beobachtungen in Westfalen: „zieht Mitte September ganz ab“. Heute und in unserer Region gelangen noch am 10. Oktober 2020 Beobachtungen im Ruhrtal bei Vorhalle (F. Dietz) und am 11. Oktober 2005 auf der Kalthauser Höhe (A. Pfeffer/ U. Schmidt). Zu dieser Zeit sind nahezu alle Braunkehlchen durchgezogen, und da sich nun der Abzug der allerletzten Braunkehlchen mit dem beginnenden Zug des Schwarzkehlchens überschneidet, sollte auf die Unterscheidung zur ähnlichen sibirischen Unterart des Schwarzkehlchens geachtet werden.

Auf dem Herbstzug verändern Braunkehlchen ihre Ernährung, wie es auch von einigen anderen insektenfressenden Langstreckenziehern bekannt ist. Zusätzlich zu den Insekten werden nun auch Beeren aufgenommen, deren Anteile man in 90 % der herbstlichen Kotproben fand. Neben ausgedehnten Ruhezeiten spielt der Fruchtzucker der Beeren eine herausragende Rolle bei der Bildung von Depotfett, das als „Treibstoff“ für den langen Flug über das westliche Mittelmeer bis jenseits der Sahara notwendig ist. Ohne um diesen Zusammenhang zu wissen, wird dieses Depotfett bereits von Naumann, einem Begründer der Vogelkunde, schon im 19. Jahrhundert beschrieben, allerdings nicht nur aus vogelkundlichen, sondern auch aus kulinarischen Gründen: sie seien „schmackhaft“ und „im Herbst meistens sehr fett, und ihr Fleisch gibt dann ein vortreffliches Gericht“. Dies klingt paradox: ein „Vater der Vogelkunde“ als einer der zahlreichen Vogelfänger, die womöglich zum Niedergang einzelner Vogelarten beigetragen haben? Doch der seinerzeit vielerorts, aber mit einfachen Mitteln wie Leimruten oder Fangschlingen (Dohnen) betriebene Vogelfang war vergleichsweise uneffektiv und konnte dem Bestand nicht annähernd so viel Schaden zufügen wie unsere heutige Veränderung der Landschaft durch Zersiedelung und intensive Bewirtschaftung oder der Fang mit den für Vögel nahezu unsichtbaren Japannetzen.

weibliches Braunkehlchen in einem Rotem Holunder. Die Suche nach den begehrten Beeren ist hier vergeblich: andere haben nur die leeren Fruchtstände zurückgelassen. Wolkenstein/Südtirol 30. Aug 2013, Foto: A. Welzel
weibliches Braunkehlchen in einem Rotem Holunder. Die Suche nach den begehrten Beeren ist hier vergeblich: andere haben nur die leeren Fruchtstände zurückgelassen. Wolkenstein/Südtirol 30. Aug 2013, Foto: A. Welzel

Das Zuggeschehen in unserer Region zeigt insgesamt keine nennenswerte Veränderung (s. Trendlinie Abb. 2). Jahre mit deutlich höheren Herbstzugzahlen als Heimzugzahlen wie etwa 1998 oder 1999 deuten auf Jahre mit hohem Bruterfolg hin. Auch hier ist zu beachten, dass es sich nahezu ausschließlich um Braunkehlchen aus Fennoskandien handeln dürfte.

Abb. 2: Anzahl der beobachteten Braunkehlchen innerhalb der letzten 40 Jahre im Hohenlimburger und Hagener Raum, Datengrundlage: s. Abb.1

Bemerkenswert für den Braunkehlchenzug in unserem Raum ist die Ausprägung von Frühjahrs- und Herbstzug. Eigentlich wären beim Heimzug zurück in die Brutgebiete deutlich weniger Braunkehlchen zu erwarten als beim Wegzug ins Winterquartier, denn die Verluste im Winterquartier sollten sich dementsprechend bemerkbar machen, während sich beim herbstlichen Zug ins Winterquartier die neue Generation mit auf den Weg macht und demzufolge eine höhere Anzahl zu erwarten wäre. Jedoch wurden in den meisten Jahren beim Wegzug in Richtung Südeuropa weniger Individuen gezählt (s. Abb. 3, grün) als beim Heimzug. Kann man dieses Missverhältnis mit der Beobachtungsfreude der „Birder“ nach einem beobachtungsarmen Winter erklären, so dass im Herbst weniger Vögel gemeldet werden als eigentlich da sind? Oder ist der Aufenthalt im Herbst so kurz, dass die Braunkehlchen unauffällig bleiben? Sind es unterschiedliche Zugwege bei Heim- und Wegzug, wie es als „Schleifenzug“ für einige andere Vogelarten beschrieben wird? Dieses Phänomen ist allerdings beim Braunkehlchen unbekannt, so dass eine schlüssige Erklärung für diese Beobachtungsergebnisse ausbleiben muss.

Abb. 3: Jahresvergleich der Ausprägung von Heim- und Wegzug der Braunkehlchen von 1980-2022 im Hohenlimburger und Hagener Raum, Datengrundlage: s. Abb.1

 

Brutvorkommen

Aktuell ist das Braunkehlchen kein Brutvogel in Hagen, doch das war offensichtlich mal anders: der Bund für Vogelschutz und Vogelkunde Herdecke-Hagen berichtete 1973 in seiner ersten Ausgabe der Vereinsschrift „Cinclus“ von vier bis fünf Braunkehlchenbruten in den Flusstälern unserer Region, namentlich im Lennetal bei Kabel, im Ruhrtal bei Westhofen und in einem Bereich zwischen Hengsteysee und Boele (vermutlich Böhfeld, Anm. des Autors). Für die folgende Zeit findet man zu Brutvorkommen in unserem Raum keine Angabe mehr.

Für Westfalen bezeichnet Landois das Braunkehlchen 1886 „als an Häufigkeit zunehmend“, und noch 1960 konnten allein die Kreise Wesel und Kleve1.600 Brutpaare aufweisen. Heute kann ganz Nordrhein-Westfalen nur noch ca. 200 Brutpaaren aufweisen, so dass die Art auf der Roten Liste als „vom Aussterben bedroht“ geführt werden muss. Aus dem Tiefland Nordrhein-Westfalens sind die Braunkehlchen aktuell ganz verschwunden. Wer Braunkehlchen während der Brutzeit beobachten möchte, muss sich zu den letzten nennenswerten Restvorkommen ins Hochsauerland begeben, wo sie nur noch in den Naturschutzgebieten zu finden sind und man um das Überleben der Art in Nordrhein-Westfalen kämpft.

Auch in Deutschland sind die Brutbestände zusammengebrochen, man rechnet im gesamten Bundesgebiet nur noch mit ca. 20.000-35.000 Brutrevieren. Das Braunkehlchen gilt deshalb auch hier als „stark gefährdet“. Während vor 40 Jahren die Bestandsabnahme vom DDA (Dachverband Deutscher Avifaunisten) noch als moderat eingestuft wurde, wird er seit ca. 30 Jahren mit einer Abnahme von mehr als 3% pro Jahr als stark bezeichnet. Der langfristige Trend verläuft beschleunigt abnehmend.

Brutlebensraum

Vor dem Einzug von Ackerbau und Viehzucht in Mitteleuropa war das Braunkehlchen ursprünglich auf Randbereiche von Mooren, auf durch Wind oder Feuer entstandene Kahlflächen inmitten von Wäldern oder trockengefallene Überschwemmungsbereichen von Flüssen angewiesen. Dieses eher kleinräumige Habitatangebot änderte sich mit der „Erfindung“ der Landwirtschaft, in deren Folge die Landschaft verändert wurde und ausgedehnte Äcker und Wiesen entstanden. Mit weiteren Arten wie Feldlerche oder Wachtel konnte sich auch das Braunkehlchen in Europa verbreiten, so dass man es durchaus als Kulturfolger bezeichnen kann. Die Dichte von Brutrevieren ist abhängig vom Bruthabitat: reich strukturierte Lebensräume wie Feuchtwiesen und – weiden oder Heidemoore oder Torfstiche sind begehrte Brutreviere, dagegen werden einförmige Biotope wie Äcker, Grasäcker oder Intensivweiden wenig dicht oder gar nicht besiedelt.

Dem Braunkehlchen wird die Abhängigkeit von seinem bevorzugten Lebensraum zum Verhängnis, denn unvereinbar ist die heutige intensive Nutzung des Grünlandes mit den Viehweiden und blütenreiche Wiesen, wie sie nur bei geringem Dünger- und Pestizideinsatz und einjähriger Mahd entstehen. Urlauber können sie vor allem noch in den gebirgigen Regionen Süddeutschlands sehen, dort treffen sie auch das Braunkehlchen an. Doch wo gibt es das bei uns noch?

Einer der Gründe dafür ist neben der Anwendung von Insektenvernichtungsmitteln wie den Neonikotinoiden der existentielle Zwang der Landwirte, aufgrund der Fördungsregelungen der EU immer größere Viehbestände zu halten. Damit ist eine Freilandhaltung kaum noch möglich, denn derart zahlreichen Hufen würde eine Viehweide nicht standhalten. Als Folge dessen findet man eine Stallhaltung, bei der das Futter zum zahlreichen Vieh gebracht wird. Wiesen sind nun kein Lebensraum mehr, sondern Produktionsstätte von Viehfutter. Sie werden mit besonderen, schnell wachsenden Grasarten bepflanzt („Turbo-Gras“) und müssen deshalb intensiv gedüngt werden. Dort gibt es keine Blütenpflanzen und kaum Insekten, die Nahrung für Braunkehlchen fehlt. Alle fünf Wochen können diese Wiesen bis zu sechs Mal pro Saison gemäht werden, da kann kein Nachwuchs eines Wiesenbrüters hochkommen. Gelege werden ausgemäht und brütende Weibchen getötet, so dass letztendlich der Bruterfolg zu niedrig ist, um die Art zu erhalten. Es besteht kein ausreichend großes Zeitfenster mehr für eine erfolgreiche Vogelbrut.

Was nutzt uns das Braunkehlchen?

Doch warum sollten wir – nicht nur - das Braunkehlchen erhalten? Der Verlust würde doch den wenigsten auffallen?

Vogelarten erfüllen je ihre bestimmte Funktion im Ökosystem und sind darin vernetzt, sie wirken auf anderen Arten und stabilisieren das System.

Vögel zeigen uns den Zustand der Landschaft an, sie sind Indikatoren für das Funktionieren der Ökosysteme. Vögel geben uns ohne komplizierte Messinstrumente eine Gesamtschau des aktuellen Zustands unserer Ökosysteme und sind damit Bioindikatoren für den Zustand von Landschaften und Ökosystemen wie Meere, Moore, Wäldern und andere mehr, deren fortschreitenden Zusammenbruch wir als Zeitzeugen miterleben. Die Frage „was nutzt uns das Braunkehlchen?“ lautet: der Rückgang in Bestandszahl und Artenzahl ist ein Warnsignal vor dem Zusammenbrechen der Ökosysteme, die uns reine Luft, sauberes Wasser und gesunde Böden zur Verfügung stellen, so dass deren schlechter Zustand letztendlich den Menschen ganz existentiell betrifft.

Mittlerweile betrifft der Verlust von 60 Millionen Vögeln Europa nicht mehr nur die Spezialisten und damit die Seltenheiten unter den Vogelarten, sondern die größten Rückgänge sind auch bei den Allerweltsarten zu verzeichnen.

„Die Verantwortung liegt bei uns“!

Dies ist das Fazit einer Studie der Vogelwarte Sempach/ Schweiz. Demnach ist die Verantwortung für den Zustand der Braunkehlchenbestände nicht mehr auf andere zu schieben: weder die Situation in den Überwinterungsgebieten noch der kaum zu bremsende Klimawandel allein bewirken den starken Rückgang des Braunkehlchens in Mitteleuropa. Dieser ist allein eine Folge der veränderten Bewirtschaftung unserer Landschaft. Als einer der Verlierer der europäischen Agrarpolitik leidet es besonders unter dem in der Krefelder Untersuchung festgestellten Ausmaß des Insektenmangels, die Landwirtschaftskommission warnte bereits vor dem Verlust der Bestäuber.

Für unsere Region Hohenlimburg und Hagen bedeutet dies, konsequent ländliche Landschaften und deren Lebensräume aus Wiesen und Feldern sowie naturnahe Bewirtschaftung zu erhalten. Unsere Landschaft muss künftig zumindest teilweise wieder kleinräumig strukturiert sein. Dies kann nicht mit der vorrangigen Förderung landwirtschaftlicher Großbetriebe und deren Produktion auf Monokulturen gelingen, sondern sie muss auf die Erhaltung einer kleinbäuerlichen Landwirtschaft abzielen, die naturnah wirtschaftet und mit weniger Pestiziden und Düngung auskommt. Einhergehend ist auch eine Änderung des Verbraucherverhaltens hinsichtlich unserer Nahrungsmittel unerlässlich.

Damit könnten wir den letzten Offenlandarten wie Feldlerche und Kiebitz und vielleicht auch dem Braunkehlchen wenigstens eine Chance auf einen Brutplatz geben. Eine Gelegenheit dazu böte sich im Erhalt und in der Aufwertung einer der letzten landwirtschaftlich geprägten Lebensräume des Hagener Nordens am Böhfeld südlich des Hengsteysees, die Entscheidung dafür oder dagegen werden die Hagener Politiker treffen.

Dank geht an Oliver Baesch für den Fotobeitrag.


Literatur

  • Bairlein, F. (2022): Das große Buch vom Vogelzug – eine umfassende Gesamtdarstellung. Wiebelsheim
  • Bairlein, F. et al. (2014): Atlas des Vogelzugs – Ringfunde deutscher Brut- und Gastvögel. Wiebelsheim
  • Bastian, A. (1996): Das Braunkehlchen – Opfer der ausgeräumten Landschaft. Wiesbaden 1996, Sammlung Vogelkunde im Aula-Verlag
  • Bund für Vogelschutz und Vogelkunde (1973): Mitteilungen C) - Besondere Beobachtungen und Untersuchungen an einzelnen und zum Teil seltenen Vogelarten. Cinclus 1. 1. Jhrg, S. 19
  • Gerlach, B. et al. (2019): Vögel in Deutschland – Übersichten zur Bestandssituation. DDA, BfN, LAG VSW, Münster
  • Grünwald, Hans (1987): Das Braunkehlchen - Vogel des Jahres 1987. Hlbg.-Heimatblätter 48.Jhrg. Heft 8, S.146-148
  • Grüneberg, C., H.-G. Bauer, H. Haupt, O. Hüppop, T. Ryslavy & P. Südbeck (2015): Die Rote Liste der Brutvögel Deutschlands, 5. Fassung. In: Berichte zum Vogelschutz 52
  • Grüneberg, C. et al. (2016): Rote Liste der gefährdeten Brutvogelarten Nordrhein-Westfalens, 6. Fassung. In: Charadrius 525, Heft 1-2, S.1-66
  • Grüneberg, C., S. R. Sudmann sowie J. Weiss, M. Jöbges, H. König, V. Laske, M. Schmitz & A. Skibbe (2013): Die Brutvögel Nordrhein-Westfalens. NWO & LANUV (Hrsg.), LWL-Museum für Naturkunde, Münster
  • https://www.voegel-magazin.de/Beitraege/Beitraege_Detail.php?id=1588 vom 14.7.2020: Die Verantwortung liegt bei uns.
  • Landois, H. (1886): Westfalens Tierleben – die Vögel. Der gemeine Wiedehopf Upupa epops. Verlag Schöningh, Paderborn und Münster, S.45-47
  • Springer, K. & R. Kinzelbach (2009): Das Vogelbuch von Conrad Gessner (1516-1565). Ein Archiv für avifaunistische Daten. Berlin Heidelberg